Geschichtliches zu den Shanty-Chören

Dieser Text ist nicht von den Herstellern dieser Seite erstellt worden, sondern ist aus einem Referat von Elisabeth Peters, Leiterin der Musikkommission der ISSA, entnommen worden.

Die Shanty Geschichte

ISSA Referat : SHANTIES

gehalten von Elisabeth Peters

In den letzten Jahren bilden sich immer mehr Gesangsgruppen, die sich Shanty Chor nennen. Ja, es gibt sogar eine Internationale Shanty - and Seasong Association. Dass wir zwischen Shanty und Seasong unterscheiden, liegt an den völlig verschiedenen Charakteren dieser beiden Liedarten. Ich will heute hier einige Kapitel aus der Geschichte der Shanties aufschlagen. Wer etwas über Shanties wissen will, muss auch Dinge über die Menschen wissen, die Shanties gesungen haben, denn sonst kann man nicht verstehen, warum sich die Lieder überhaupt -und dann in dieser Form entwickeln konnten.

 

Die Quellen, aus denen ich heute zusammenfassende Informationen über Shanties und ihre Sänger berichte sind Worte, die in den Büchern der unvergessenen Shanty - Legende Stan Hugill: Zeemannliederen und "Shanties from the Seven Seas" zu finden sind und in dem vergriffenen Buch: "Shanties von Hermann Strobach" sowie in William Doerflinger: "Songs of the Sailor and Lumberman", dessen Vorwort von Peter Stanford, Präsident der National Maritime Historical Society in Illinois verfasst wurden.


Der Name Shanty kommt wahrscheinlich von dem englischen chant: singen, das französischen Wort für singen, chanter, beziehungsweise chantez, wie es die französisch sprechenden Neger unter den Schauerleuten von New Orleans gebrauchten. Denn aus dem Arbeitsgesang der Neger, besonders der Baumwollstauer in den Südhäfen der Vereinigten Staaten, stammt so manches Lied, das schließlich als Shanty auf den Segelschiffen heimisch wurde. Es gibt
noch andere Erklärungen für die Herkunft des Wortes, doch scheinen sie weniger überzeugend.

Die charakteristische Form des Shanty

Stets aber wurde als Shanty nur jenes Lied bezeichnet, das die Seeleute bei der Arbeit sangen. Diese unmittelbare Verbindung zur Arbeit bestimmt auch die charakteristische Form des Shanty. Seine Strophen bilden zumeist einen Wechselgesang zwischen einem Vorsänger, dem Shantyman, und der Mannschaft. Dabei ist der Vorsänger der führende Teil. Ihm fällt der eigentliche, von Strophe zu Strophe veränderliche Text zu, der erzählend, oft auch anfeuernd, aufmunternd oder belustigend ist und den der Vorsänger nach Belieben und vor allem nach Phantasie und Können improvisierend erweitern oder verändern kann. Es gab für diese Lieder keine feste, gleichbleibende, verbindliche Form. Jeder Shantyman sang sie etwas anders, und ein geübter und herausragender Vorsänger konnte hier immer neue Varianten schaffen, die dann von anderen übernommen wurden und so - wieder variiert - in die Seemannstradition eingingen. Die Mannschaft antwortet im Chor auf den Gesang des Shantyman mit dem meistens gleichbleibenden Refrain, der den Takt für die Arbeit angibt.


Ein einfaches Beispiel für diese charakteristische Form ist unser Lied: Fire Down Below. Der Shantyman singt jeweils zwei Zeilen, die er hauptsächlich dadurch variiert, daß er immer einen anderen Ort des Schiffes nennt, an dem das Feuer sein soll:

 

Fire in the galley, fire in the house,

fire in the beefkid, scorching the souse.

Und dann: fire in the fore-top, in the forepeak,

in the lifeboat usf.


Die Variationsmöglichkeit ist fast unbegrenzt. Die Mannschaft fällt als Chor mit dem immer gleichen Refrain ein, zu dessen Rhythmus sie ihre Arbeit ver-richtet, hier die Bedienung der Pumpen, mit denen das eingedrungene Wasser aus dem Schiffsrumpf herausgepumpt werden mußte:


Fire ! Fire !

Fire down below !

Fetch a bucket of water, boys,

fire down below!

Unterschied zwischen mehreren Gruppen von Shanties

Die verschiedenartigen Arbeitsvorgänge verlangten aber auch verschiedene Formen des Arbeitsgesanges,
und so unterscheidet man mehrere Gruppen von Shanties. Da sind zunächst die Short-Haul-Shanties,
die gesungen wurden, wenn es galt, das Tau in einem kurzen, kräftigen Zug zu straffen. Auf das zumeist
einzeilige Solo des Vorsängers folgt hier der kurze, ebenfalls einzeilige Refrain des Chors, oft nur aus dem
wiederholten Arbeits-ruf: Haul away bestehend, auf dessen letztes, herausgepresstes Wort der Zug (pull)
ausgeführt wird. Zum Beispiel:


Hey, don't you see that black cloud arising ? singt der Vorsänger. Darauf der
Chor: way, haul away, we'll haul away, Joe!
Auf "Joe" erfolgt der Zug.


Eine zweite Gruppe bilden die Halyard-Shanties, auch Fall-Shanties genannt, die das Iänger ausholende Ziehen beim Segelsetzen begleiten. Sie sind meist aus vierzeiligen Strophen gebildet, in denen Solo- und Chorzeilen abwechseln. Auf jede Chorzeile können ein oder auch zwei Ruck erfolgen. Zu den beliebtesten Halyard- Shanties gehört das Lied: Roll the cotton down:

Vorsänger: Away down south where I was born,
Chor: oh, roll the cotton down,
Vorsänger: that's where the niggers blow their horn,
Chor: oh, roll the cotton down.
Auf "roll" und "down" wird die Leine durchgezogen.


Wenn alle Mann das Tau mit den Händen festhielten und, statt am selben Platz immer neu durchzuziehen, damit über das Deck marschierten, um es anzuspannen, z.B. beim Heißen der höheren Rahen, dann sangen die Seeleute eine besondere Art des Halyard-Shanty, die man dieser Arbeitsweise entsprechend Walkaway-Shanty nennt, manchmal auch
Stamp-and-go- Shanty, weil die Matrosen oft an bestimmten Stellen laut aufstampften. Verhältnismäßig lange Chorpartien für dieses, "Gehen" über Deck und marschmäßiger Rhythmus sind hier typisch; manche dieser Lieder bestehen nur aus Chorstrophen.

The Drunken Sailor dürfte wohl einer der bekanntesten Songs dieser Art sein.

Kaum untereinander zu unterscheiden ist eine dritte Gruppe von Liedern, die zur Bedienung des Gangspills (capstan), des Bratspills (windlass) oder der Pumpen, oft aber auch an allen diesen Geräten gesungen wurden: Capstan- (oder Gangspill-), Pump- und Windlass-Shanties. Das Gangspill (capstan) war eine Winde, die von den Männern bewegt wurde, indem sie um das Spill
herummarschierten und dabei die Spillspaken(schwere, in den Spillkopf gesteckte Stangen) vor sich herschoben, während das Bratspill in vertikaler Richtung gedreht werden musste. Das Gangspill diente vor allem zum Hieven der Ankerkette, und so bilden eine besondere Untergruppe dieser Shanties die Homeward-bound-Songs, die beim Ankerlichten zur Heimreise erklangen. Für die Form dieser Gruppe ist vielfach ein Wechsel von Solozeile, kurzer Chorzeile, neuer Solozeile, wiederholter Chorzeile und und längerem Chorsatz kennzeichnend. Eins der bekanntesten Capstan-Shanties ist der Sacramento-Song:

 

Vorsänger : The camptown ladies
Chor : and a hoodah
and a hoodah
Vorsänger : The camptown race
Tracks five miles long
Chor: and a hoodah, hoodah day
Voller Chor: Blow, boys, blow for Californio, there is plenty of gold
so I've been told,on the banks of Sacramento.

Wie der Arbeitsrhythmus und Arbeitsvorgang die Struktur des Shanty bestimmen, so bildet der Arbeitsruf, wie zum Beispiel Way ay roll and go - haul away, boys, haul away - away you heelow usw., seinen Kern, um den sich der übrige, immer wieder veränderte oder erweiterte Text rankt.

 

Wir kennen auch im Deutschen solche Rufe, die verschiedenste Arbeiten, die in irgendeiner Form gemeinschaftlich verrichtet werden , begleiten; am gebräuchlichsten ist wohl das Hau-ruck! Im Shanty gehört der Arbeitsruf zumeist zum charakteristischen Bestand des Chorsatzes. Wir finden ihn aber auch im Text des Vorsängers als Arbeitskommando: Oh! Haul away for the windy weather, boys, oder einfach: Haul the bowline, von der Mannschaft als Arbeitsruf, auf den sie ihre Tätigkeit ausführte, wiederholt : Haul the bowline, the bowline haul! Zum Liede wird dieser ständige Wechsel von leichklingendem Arbeitskommando und Arbeitsruf durch eine sehr einfache Variation der zweiten Halbzeile des Vorsängers:


Haul on the bowline,for Kitty she's my darling,
Haul on the bowline, the bowline HAUL
Kitty lives in Liverpool, Liverpool's a fine town usw.


Wir haben hier die einfachste Form des seemännischen Arbeitsliedes vor uns. Sicher ist das Shanty als Liedgattung auch aus dem Arbeitsruf durch solche einfache Variation und Auffüllung entstanden. Das Lied von der bowline gehört zu den ältesten der uns bekannten Shanties; es wird bis ins 16. Jahrhundert zurückdatiert. Aber nur noch einige wenige Lieder werden in so alte Tage der Seefahrt zurückreichen. Die weitaus meisten der uns überlieferten Shanties stammen aus dem 19. Jahrhundert, also der letzten großen Blütezeit friedlicher Segelschifffahrt auf den Weltmeeren. Und nicht nur aus dem seemännischen Bereich, wie uns der Arbeitsruf aus einem der beliebtesten Shanties zeigt: Roll the cotton down, - rollt die Baumwolle hinunter. Denn hier handelt es sich ja um ein Lied aus dem Arbeitsgesang der nordamerikanischen Neger, die als Schauerleute in den Südhäfen der Vereinigten Staaten hauptsächlich Baumwolle verladen, also in den Laderaum der Schiffe hinunter rollen mussten. Vor allem den Winter über arbeiteten dort auch Seeleute, die sich dann im Frühjahr wieder anheuern ließen und dieses Lied wie viele andere aus dem Gesang der Neger mit auf die Segelschiffe nahmen.

Wieder andere Texte und Melodien kommen aus der Tradition nordamerikanischer Eisenbahnarbeiter, Goldsucher und Holzfäller; einige, vor allem ältere, gehen auf schottische Volksweisen zurück; Seemannsballaden und selbst  Bänkelsänger steuerten manches zum Bestande der überlieferten Shanties bei. Bunt zusammengewürfelt wie die Besatzungen der Schiffe war so auch das Liedgut der Seeleute. Wir hören von der Härte der Arbeit und den Entbehrungen auf den langen und oft gefährlichen Fahrten über die Ozeane, von den rücksichtslosen Methoden, mit denen die Kapitäne häufig ihre Mannschaften auffüllten und beherrschten, aber auch vom Hass der Matrosen und ihrem Widerspruch gegen solche Kapitäne und Steuerleute. Und natürlich hören wir von der Sehnsucht nach der Heimat und nach dem Hafen mit seinen Vergnügungen, nach dem Mädchen und einfach auch nach ein bisschen Ausruhen. Aber der Seemann war ja durch ökonomische Abhängigkeit an die Seefahrt gekettet; schnell hatte ihm eine geschäftstüchtige, routinierte und vielfach auch betrügerische Vergnügungsindustrie seine Heuer aus der Tasche gezogen, und ihm blieb nichts übrig, als to go on board as he did before, an Bord zu gehen, wie eh und je, wie es in einem Homeward - bound Song heißt, sich anheuern zu lassen zu den Bedingungen, die ihm die Reeder und Schiffskapitäne nun diktierten. Doch trotz allem, der Seemann liebte seinen Beruf; er hasste die Verhältnisse, die ihn um die Früchte seiner Arbeit betrogen und ihn zwangen, seinen Beruf unter Bedingungen auszuüben, die sich oft der Sklaverei näherten. Wir spüren diese Liebe zur Seefahrt in den meisten unserer Texte, vor allem aber kommt sie in dem kräftigen, befreienden Humor des Seemanns zum Ausdruck, der zum. Unverwechselbar eigenenTon des Shanty gehört, insbesondere in den Scherz- und
Spottliedern, z. B. vom "alten Kasten"', vom Drunken Sailor (dem betrunkenen Seemann). Oder von Boney, dem Aufstieg und Fall Napoleon Bonapartes, der sich durch seine Kontinentalsperre bei der Seefahrt wenig beliebt gemacht hatte. Eine weitere Entwicklung stellt der kurze Holgesang dar, von den amerikanischen Seeleuten »shortdrag song« genannt. Er wurde ziemlich schnell gesungen, beim Holen der Royalfallen und beim Heißen anderer leichter Rahsegel:


Boney was a warrior,
Chor: Way -aye- yah!
Oh, Boney was a warrior,
Chor: John François!

"Das Shanty ist ein echtes Volkslied: kräftig und urwüchsig in seinem Ton, schöpferisch geformt in ständiger Weiter- und Umbildung durch die arbeitenden Seeleute im kollektiven Gesang, ist es ein unmittelbarer und unverfälschter Ausdruck des Lebens und des Denkens und Fühlens der Matrosen in jener Zeit. Und das macht auch heute noch seinen Reiz und seinen Wert für uns aus, auch wenn der organische Zusammenhang mit der Arbeit auf den Segelschiffen nicht mehr gegeben ist, die ja einen anderen Charakter und einen anderen Rhythmus hatte als die Arbeit an den Maschinen auf den Schiffen unserer Zeit . Doch das Shanty sollte nicht nur gelesen werden lediglich als ein historisches Dokument, das Einblick in eine vergangene Zeit und Lebenswelt gewährt. Manche dieser frischen, kräftigen Texte und Melodien sprechen uns noch unmittelbar an, als Lieder, die wir gern singen. Dabei ist es niemandem verwehrt, sich hier und da einen eigenen Vers dazu zu machen. "
Quelle: Shanties Delius/Klasing


Die Landbewohner haben die Seefahrer immer als eine besondere Rasse oder Gattung betrachtet; seit eher waren die Seeleute von einem Hauch des mystischen umweht. Kein Wunder, denn zu allen Zeiten kehrten sie mit unglaublichen Geschichten heim - wenn sie denn heimkehrten. Seit den Tagen der Seeräuber - den Nordmännern, Sachsen, Jüten und anderen - hatte sich der Graben wischen Landleuten und Seeleuten noch deutlich vertieft, zumindest bis zum Anbruch des Maschinenzeitalters.

War ein Junge einer Bordgemeinschaft beigetreten, ganz gleich ob auf einem Wikingerschiff, einer Karavelle oder einem baltischen Schoner, wurde er bald ein Fremder für seine Freunde an Land. Er nahm Sitten und Gebräuche der Seeleute an und lernte ihre eigentümliche Sprache. Die Unterschiede zwischen dem nordischen Janmaaten und dem Iateinischen Marinero waren nicht groß, was das tägliche Leben auf See betraf. Sie schliefen auf einem Strohlager, in neuerer Zeit in einer Hängematte oder einer Koje aus rohem Holz. Zu essen gab es Salzfleisch oder Stockfisch, grobes Roggenbrot oder Schiffszwieback. Es fehlten die gesunderhaltenden Vitamine; deshalb litt der Seemann oft unter Skorbut und anderen Mangelkrankheiten. Die Feuchtigkeit verursachte Rheuma und verwandte Leiden, das dauernde Holen und Hieven war schuld, dass bei Seeleuten Leistenbrüche häufiger waren als bei vergleichbaren Gruppen an Land. Obgleich in jüngerer Zeit der Skorbut und einige andere Leiden ausgeschaltet wurden, unterschied sich das
Leben auf einem Salpetersegler des 18. Jahrhunderts nur wenig von dem auf den Segelschiffen Vasco da Gamas. Mit Ausnahme der wenigen, die in arktischen Gewässern umherstreiften, waren die Schiffer des Nordens vor allem in Nord- und Ostsee unterwegs. Die Seeleute des Mittelmeeres dagegen segelten mit den Informationen, die ihnen die Basken gegeben hatten, auch über die Säulen des Herkules hinaus und suchten Neuland südlich und westlich von Europa. Die nordischen Seefahrer navigierten mit scharfem Ausguck, nach gekoppelten Kursen und mit Hilfe der Lotleine; sie verachteten die »Kuhhäute«, wie sie spöttisch die Portolandkarten ihrer lateinischen Rivalen nannten. Während des 15. und 16. Jahrhunderts begannen die Genuesen, Venetianer, Katalanen und Portugiesen, mit hochseefähigen Fahrzeugen zu operieren. Dazu wurden neue Navigationsmethoden entwickelt - vor allem von vertriebenen alexandrinischen Juden, die sich auf Mallorca niedergelassen hatten. Die Karavellen Portugals und Spaniens fanden den Weg nach den Azoren und den Bahamas, sie segelten entlang der untiefenreichen Küste Guineas und um das Kap der Stürme. Im 15. Und 16. Jahrhundert stellten Seeleute und Schiffe aus Spanien und Portugal die aller anderen Völker Europas in den Schatten. Dann übernahmen Holländer die Führung.

Im Wettkampf um die Vorherrschaft zur See hatten sich die ersten holländischen Schiffe am arktischen Walfang beteiligt, und dabei wurde der Stützpunkt Smeerenberg auf Spitzbergen gegründet. Von dort aus suchten sie einen Weg nach dem Fernen Osten,an dem alle seefahrenden Völker Europas interessiert waren. Die Weiterentwicklung der Navigation und der Rechte erleichterten den Seeleuten zwar ein wenig das Leben, aber viele Übel blieben doch. Die Role d'Oleron, das Seerecht des alten Rhodos, das heute im "Black Book of Admiralty" ein balsamiert ist, erlaubte das Auspeitschen und Kielholen der Mannschaften. Wasser wurde in Fässern und hölzernen Tanks mitgenommen, in denen sich bei Iängeren Seereisen Keime entwickelten, die das Schiffsfieber (Typhus) und andere bösartige Krankheiten hervorriefen. Wurde ein Schiff von Krankheit befallen, breitete sie sich schnell in der ganzen Flotte aus, da alle Forschungs- und Kauffahrteischiffe im 16., 17.und 18. Jahrhundert wegen der Piraten und der Kaperschiffe in Gruppen oder Flotten segelten. Die Flotte des Franzosen Dubois de la Motte kehrte 1757 von Kanada zurück und lief mit 6000 Typhuskranken in Brest ein; die Krankheit erfasste dann auch die Bevölkerung an Land.

Mit Ausnahme der Küsteschiffe waren alle Kauffahrer bis an die Zähne bewaffnet und die Seeleute kampfgeübt. Die englischen (1601) und die holländischen (1602) Ostindienfahrer waren die ersten Kauffahrteischiffe auf grosser Fahrt, und sie waren schwer bewaffnet. Ihre Besatzungen waren zum Teil als Seesoldaten ausgebildet, und die Schiffe segelten im Konvoi.

 

Mit dem Verschwinden dieser Segler - die französischen Ostindienfahrer wurden 1770 von der Kriegsmarine übernommen, die holländischen und englischen starben nach 1832 aus, begannen einzelne, weniger bewaffnete Handelsschiffe die Ozeane zu befahren. Die Periode vom Anfang des 17. bis zur Mitte des 18.Jahrhunderts hat man das Zeitalter der Abenteurer genannt. Es war die Zeit der Flibustier und Bukanier, der Piraten und Freibeuter sowie die der nichtwissenschaftlichen Seefahrer. Sie segelten überall herum, plünderten und eiferten, wollten bekehren, suchten nach Gold und wollten handeln. Die Kartographie war damals Geheimwissenschaft und Waffe. Mit Androhung der Todesstrafe hielten die Holländer Ihre Routen nach Niederländisch- Indien geheim; die Portugiesen bedrohten den Verrat des Inhalts ihrer Karten mit der Folter, und der Franzose Bougainville weigerte sich hartnäckig, die Lage der neuentdeckten Insel Tahiti preiszugeben. Was wissen wir von den Liedern der Matrosen in dieser Epoche vom 15. bis zum 18. Jahrhundert? Die literarische Forschung liefert uns die erste Andeutung, von seemännischen Arbeitsliedern in einem Manuskript aus der Regierungszeit des englischen Königs Heinrich VI. (1421-1471). Eine Seeballade - vielleicht die älteste in Europa - handelt von einem Schiff voller Pilger. die von Wales zum Schrein des heiligen Jakob (Santiago) nach Compostela in Spanien wollten. Der erste Hinweis auf das Singen von Arbeitsliedern beim Holen eines Taues - was die Seeleute später «shantying» nannten - und auf einen Vorsänger, der später «shantyman»— hieß, findet sich in dem Werk eines Dominikanermönches, Felix Fabri aus Ulm, der 1493 auf einer venezianischen Galeere nach Palästina segelte. Shanty-Männer werden beschrieben als Matrosen, die bei der Arbeit singen, ...ein Konzert zwischen einem, der Kommandos aussingt, und den Arbeitern, die singend antworten.


Die älteste Quelle, die eine Anzahl auf See gesungener Arbeitslieder enthält, ist The Complaynt of Scotland von Barbour (1549). Man findet darin zwei Lieder zum Ankerhieven, ein Buhlien -Shanty und drei Holgesänge zum Heißen der unteren Rahen; sie gleichen denen, die von den Seeleuten zu meiner Zeit gesungen wurden, abgesehen von dem archaischen Kauderwelsch. Von 1550 bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts waren anscheinend die englischen Shanties ebenso wie die anderer europäischer Seeleute aus dem Bordleben verschwunden. Aber Samuel E. Morison erwähnt in seinem Admiral of the Ocean Sea (1942) ein altes spanisches Shanty, das auf Columbus' Schiffen gesungen wurde, und Luiz de Camoes erzählt in den Lusiaden (1572), dass die Seeleute auf Vasco da Gamas Schiffen bei der Indienfahrt «Lieder und Rundgesänge zur Erleichterung der Arbeit sangen», beim Hieven des Ankers und beim Segelsetzen. In A Voyage to New Guinea (1775) schreibt Mr. Forrest, dass «die Mohren» auf den indischen Country Ships ebenfalls Arbeitslieder beim Heißen oder beim Rudern im Boot sangen. Country Ships hießen die in Indien und Burma gebauten Segler, die den Indischen Ozean befuhren und meistens englische Offiziere, aber Laskaren (Inder) als Mannschaft hatten. Diese Quelle spricht von «cheering songs» und beweist damit, dass Englisch oder ein englischhindustanisches Gemisch damals die Umgangssprache war; sie gibt damit den einzigen gedruckten Hinweis auf englischsprachige Shanties im 18. Jahrhundert. Im Zeitalter der Abenteurer war Holländisch die seemännische Umgangssprache des Nordens, Spanisch die des Südens; aber vom 18. Jahrhundert an, als die Schiffsbesatzungen international gemischt wurden, gab man alle Kommandos in Englisch oder Pidgin- Englisch.

Das Pressen von Handelsschiffsleuten in die britische Kriegsmarine gilt als Grund für das Fehlen der Shanties auf den englischen Schiffen des 17. und 18. Jahrhunderts; denn die englischen Kauffahrer wurden zwangsläufig mit Nichtengländern bemannt, denen das Shantysingen anscheinend unbekannt war. Vielleicht aber unterblieb das Singen auch wegen der kleinen Schiffe mit den großen Besatzungen. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts hieß die Devise «große Schiffe, kleine Besatzungen», und dadurch erhielt der Shanty-Mann den «Wert von zehn Mann an einem Tau». Auf den Kriegsschiffen aller Nationen wurden die Arbeiten im Takt ausgeführt, der durch die Rufe und Pfiffe des Bootsmanns markiert wurde; Singen bei der Arbeit war verboten. Aus den früheren Jahrhunderten stammende Seemannslieder für die Freizeit sind ebenfalls schwer aufzufinden. Es existieren zwar in den Bibliotheken vieler Länder manche verstaubten Schmöker mit Sammlungen sogenannter Seelieder größtenteils ohne Melodie, aber die meisten von ihnen stammen aus der Massenfabrikation von Balladendichtern an Land; sie wurden selten oder nie von Seeleuten gesungen. Heutzutage graben Folkloregruppen die besseren dieser Gedichte - denn das sind sie - wieder aus und unterlegen ihnen die Melodien anderer Volkslieder; das ergibt jedoch kein Lied, wie es im 18. Jahrhundert wirklich von einem weinseligien Janmaaten in der Taverne einer Hafenstadt gesungen wurde. Es scheint, das echte deutsche und holländische Seelieder aus dem 17. und 18. Jahrhundert die Zeit bis heute nicht überdauert haben. In Schweden war es etwas besser; hier sind die Titel einiger weniger Lieder aus dem 18. Jahrhundert:


"Flickor na i Rotterdam" (Mädchen in Rotterdam),
"Här blaser Nordost" (Hier weht der Nordost),
"Da vi kommer ut i en swartcr Natt" ( Dann kommen wir aus einer schwarzen Nacht),
"Bramravisan" (Bramrah-Lied) und
"Komm med Jullen" (kom geschwind).

 

Eine Variante des erstgenannten Liedes soll Puccini in seiner Oper Manon Lescaut verwendet haben. Frankreich kann ebenfalls einige Seelieder aus den Tagen Ludwigs XIII. (1601-1643), Ludwigs XIV. (1638-1715) und aus dem l8. Jahrhundert vorweisen:

 

"Chansons pour passer Ie temps" (Lieder zum Zeitvertreib),
"Les filles de Camaret" (Die Mädchen von Camaret),
"Sur les bords de la Loire" (An den Ufern der Loire),
"La fille de Sables" (Das Mädchen von Sables) und
"La Corsairienne", ein Ruderlied.


Und nun folgen ein paar Titel echter englischer Seelieder aus dem 18.Jahrhundert und früher: ,


"The Dolphin" Der Delphin),
"The Coasts of Barbaree" (Die Küsten der Berberei),
"Captain Ward"
"The New York Trader" (Der New- York-Fahrer),
"The Golden Vanitee" (Die goldene Eitelkeit),
"Bold Benbow" (Der kühne Benbow),
"The Lowlands of Holland" (Die Niederungen Hollands),
"Cartagena" und,
"The Nightingale" (Die Nachtigall),
"The Old Ramillies" auch "Jack Tar" ( Janmaat) sowie

"On Board a Man-o'-War" (An Bord eines Kriegsschiffes).


Nach dieser Einführung wollen wir uns jetzt der Blütezeit der Seemannslieder und der Shanties zuwenden,

dem 19. Jahrhundert.


Nach dem Ende der Napoleonischen Kriege und mit den wachsenden Auswirkungen der Industriellen Revolution wurden Europa und Amerika vom Streben nach Geschwindigkeit ergriffen. Kaufleute und Industrielle verlangten von den Schiffbauern und Reedern schnellere Segler. Die Tage der stumpfbugigen und breitbauchigen Ostindienfahrer gingen zu Ende; die Kapitäne mussten ihre altmodischen Grundsätze der Schiffsführung aufgeben und sich die neue Art von Seemannschaft zu eigen machen. Die von den Romanschreibern so sehr geliebten Seebärten waren, um
Captain A.H. Clark zu zitieren:


"plumpe, vulgäre und unwissende Männer, voll grausiger Flüche, mit einem
unangenehmen Geruch nach billigem Rum und üblem Tabak, unfähig ihre eigene
Sprache einigermaßen richtig zu sprechen und zu schreiben ... gute Seeleute ... aber ihr
Wissen und Ehrgeiz beschränkt auf das Koppeln der Kurse, auf den Teerpott und den
Marlspieker ...ohne den Wunsch, sich auf dem Gebiet der Navigation zu
vervollkommnen."


Der Übergang zu einem modernerem Typ dauerte natürlich seine Zeit; Meilensteine auf diesem Weg waren:  Die Auflösung der britischen und holländischen Ostindischen Kompagnien nach 1832, so dass Schiffe anderer Firmen in die gewinnbringende Fahrt nach Indien und China hineindrängen konnten; die Gründung von Lloyd's Register (1834) mit dem Ziel, Handelsschiffe gründlich zu prüfen und zu klassifizieren; die endgültige Aufhebung (1849) der Navigation Acts, die den britischen Schiffen die Küstenfahrt in britischenGewässern vorbehalten hatten. Die durch Lieder und Legenden berühmt gewordene Blackball-Linie setzte 1818 für ihre schnellen Paket-Segler zweimonatliche Abfahrten im Verkehr zwischen Liverpool und New York fest, was es vorher nie gegeben hatte, andere Linienreedereien taten es ihr nach. Den Ostindienfahrern hart auf den Fersen waren die sogenannten Blackwall Fregatten, die nicht mehr wie die Ostindienfahrer abends die Segel festmachten und Rahen und Stengen an Deck gaben, um es sich "für die Nacht gemütlich zu machen". Das Shanty war der Arbeitsgesang der Seeleute und der Forebitter, den man <Poller-Lied> nennen könnte, ein Lied für die Freizeit; beide kamen um 1830/40 auf (obgleich einige Forebitter älter sind), aber ihre große Zeit hatten sie gegen Ende des Jahrhunderts, obwohl sie schon zwischen 1830 und 1860 geboren wurden. Im 19. Jahrhundert kamen die jungen Seeleute der Kauffahrtei und des Walfangs aus allen Schichten der Gesellschaft, wurden aber in kürzester Zeit in echte Söhne Neptuns umgemodelt. Die Kennzeichen der echten Seeleute wären auch nicht verschwunden, wenn man die Männer in geistliche Roben gesteckt hätte.

Outfit der Seeleute

Im vorigen und im Anfang dieses Jahrhunderts bestand die «Takelage» der Seeleute aller Länder aus einem Wollsweater, Kattun-Hosen und -Blusen und einer Wollmütze, dazu lederne Seestiefel (in hohen Breiten) oder selbstgemachte Platting-Schuhe (in den Tropen).Der Gürtel mit dem Scheidemesser und das Ölzeug vervollständigten das Bild eines richtig angezogenen Seemanns. Segelmacher sowie Boots- und Zimmermänner trugen weiche Schirmmützen und oft ein zweireihiges Stoffjackett. Dicke Seemannsjacken trugen alle bei kaltem Wetter. Bei ganz schlechtem Wetter legte man die »Leib- und Seelen - Laschings« an, das heißt man schnallte den Gürtel mit Scheidemesser über die Öljacke und zog ein Bändsel vom Gürtel vorn durch den Schritt nach dem Gürtel hinten, außerdem band man Kabelgarne um die Ärmel am Handgelenk und um die Hosen unterhalb der Knie, vielleicht nahm man auch noch ein Bändsel von der Achterkante des Südwesters zum Gürtel, damit einem der Ölhut bei der Arbeit auf den Rahen nicht davonflog. Alle diese Bändsel sollten im Kap-Horn- Wetter »Leib und Seele« zusammenhalten, man half sich gegenseitig beim Anlegen und trug sie manchmal zwei Monate lang. Das lange Tragen dieser Laschings -manchmal schliefen die Leute sogar damit - führte am Hals und an den Handgelenken oft zu Salzwasser- Beulen, die durch das Scheuern und die Kälte entstanden. Um den Hals legte man ein Handtuch als Schal. Das « Logis » , in dem die Leute schliefen, befand sich in früheren Tagen unter der Back im V-förmigen Bug oder auch in einem Deckshaus hinter dem Fockmast. Neuere Segelschiffe hatten mittschiffs ein »Brückenhaus«, das sich über die ganze Breite des Schiffes erstreckte. Doppelreihen von Kojen waren entlang der Logiswände aufgestellt. Auf den frühen Schiffen pendelte die schlickige und stinkende Ankerkette zwischen den Kojen; denn die Ketten liefen durch das Logis in den Kettenkasten darunter. Gegessen wurde in den frühen Zeiten auf der eigenen Seekiste sitzend; neuere Schiffe hatten im Logis hölzerne Tische, «Back» genannt, die mit Leisten eingefasst waren, um Teller und Tassen bei rollendem Schiff zu halten. Natürlich hatten die Seeleute ihre eigene Sprache, und die Schiffsjungen mussten sie sich aneignen. Nur selten wurden die Jungen von den älteren Seeleuten angelernt; sie mussten ihnen die seemännischen Fähigkeiten abgucken. Statt die Anfänger zu unterweisen, teilten die älteren gern Püffe und Schläge aus. Diese Art von <Disziplin> war auf den französischen und deutschen Schiffen noch strenger als auf den britischen. Manche Vollmatrosen auf diesen Schiffen erinnerten die Leichtmatrosen immer wieder an ihren niedrigen Dienstgrad. Auf deutschen Schiffen kam es vor, dass sich Vollmatrosen von Schiffsjungen bedienen ließen, die ihnen die Seestiefel ausziehen und ihnen die Pfeife stopfen und anzünden mussten. Diese <hochrangigen> Vollmatrosen, im Englischen A.B. (able bodied seaman) genannt, waren stolz auf ihre Arbeit und bildeten so etwas wie eine geschlossene Kaste, wenn es darum ging, andere in ihre Berufsgeheimnisse einzuweihen. Seeleute waren im allgemeinen keine Spielernaturen, es sei denn, man nennt es <spielen>, wenn sie Maden aus ihrem Zwieback auf dem Tisch um die Wette laufen ließen, wobei sie die Viecher mit Nadeln antrieben, weil ein Paket Tabak der Einsatz war. Abergläubisch waren viele der alten Seeleute. Im allgemeinen waren sie auch nicht religiös im strengen Sinn, aber sie besaßen eine Art natürlicher Religion. Jungen nach oben geschickt, um die Zeisinge zu Iösen. Danach stiegen sie von der Rah zurück in die Wanten Die schwere Arbeit der Seeleute die ja auch immer sogenannte "Knochenarbeit " war, wurde oft unter unvorstellbaren Umständen geleistet. Wenn das Kommando <Alle Mann> kam, das auch die Freiwache einbezog. taumelten die Leute mit verquollenen Augen aus ihren Kojen. Sie nutzten die Gelegenheit zwischen zwei überkommenden Brechern, um die Logistür zu öffnen, tapsten dann in die pechschwarze Nacht und knieten in das eisige Wasser. Kommandos zum Bergen des Groß-Ober-Marsegels gellten über das Deck; Geitaue und Gordings mussten geholt werden, das Fall wurde gefiert, die Brassen bedient. Wildes Aussingen das Holen an den Tauen. Dann ging's nach oben, aufwärts in den Riggen an der Luvseite, wo der Wind die Männer an die Wanten drückte. Sie mussten über die Püttingswanten, ihre Körper hingen über der See, wenn das Schiff nach Luv überholte. Manchmal waren die Riggen vereist, dann war die Gefahr noch größer, abzugleiten und in die See zu stürzen -ohne Hoffnung auf Rettung. Weiter aufwärts in den schwankenden Stengewanten, und von dort über den schwarzen Abgrund hinweg in das Fußperd der Marsrah. Wie die Krebse schoben sich die Männer dann auf dem zweizölliigen Fußpferd nach außen in die abscheuliche Finsternis, während sich das Segel gefährlich schlagend über die Rah nach achter blähte. Mit klammen Fäusten schlugen die Männer den Wind aus dem Segel, packten die eisenharten Falten und versuchten,das gefrorene Tuch in einer <Brok>— auf die Rah zu rollen. Begleitet wurde diese harte Arbeit von wildem Aussingen:

 

Timmy way, hay, high, ya!
We'll pay Paddy Doyle for his boots!

 

Eine gemeinsame Anstrengung erfolgte bei dem laut geschrieenen " boots". Zum Festmachen des Segels wurden dann die Zeisinge um die Rah und das Segel gebunden, wobei auf einer dicken Marsrah je zwei Mann einander helfen mussten. Dann rutschte die Freiwache an den Pardunen abwärts, um so schnell wie möglich wieder in die Kojen zu kommen, während die andere Wache sich Zeit Iieß und auf dem normalen Weg in den Wanten abwärts stieg. Nachdem Kap Horn umrundet war, steuerte das Schiff seinen Bestimmungshafen an der chilenischen Küste an. Von dort würde es die Reise nach einem der Salpeterhäfen fortsetzen, wo die Segler in langen Reihen ankerten und die Salpetersäcke aus Leichtern übernahmen. In den Häfen an der Westküste desertierten viele Männer, sie "stiegen aus" wie sie es nannten, weil sie eine weitere Kap-Horn-Umseglung scheuten. Infolgedessen waren die Häfen voll von "Beachcombers". - Sogenannte " Crimps (Matrosenmakler) und Logiswirte gediehen an der Küste. Manches Schiff ohne Leute erhielt von ihnen eine Mannschaft, entweder willige und See-erfahrene <Beachcombers> oder aber sinnlos betrunkene Subjekte, die <shanghait> wurden. Die shanghaiten Leute wussten an Bord oftmals nicht, »wo vorn und achtern war«. Es waren Bauern, Farmarbeiter, Angestellte oder wer sonst leichtsinnig genug war, in solchen Spelunken zu trinken.

 

Die folgende Einteilung der Arbeitslieder ist ziemlich willkürlich, da die einzelnen Seeleute und auch die Liedersammler sich nicht immer einig sind, zu welcher Arbeit ein bestimmtes Shanty gesungen wurde. Zuerst gab es das Aussingen, den wilden, lautmalenden Gesang zum Heißen leichter Vorsegel, auch geeignet beim anfänglichen Heißen einer Rah, an den Brassen und überall bei dem abschließenden »Pull«, sei es auch nur beim Anziehen der Seestiefel. Historisch betrachtet ist das Aussingen die untere Stufe, aus der sich der wohlklingendere Gangspill-Song entwickelt hat. Die Lautmalerei soll wohl das Quietschen der BIöcke, das Knarren des Tauwerks, das Heulen des Windes in den Segeln und die Schreie der Möwen imitieren. Unverständliche Silben beim Aussingen können mit den Füllsilben der Blues-Sänger verglichen werden. In historischer Reihenfolge kommen dann die Hand-über-Hand- Shanties, die beim Heißen der leichten Stagsegel gesungen wurden. Zwei oder drei Mann holten gemeinsam an einem Tau abwechselnd mit der linken und der rechten Hand. In solchem Gesang kamen ebenfalls Füllsilben - manchmal als »Knoten« bezeichnet - oder wilde Schreie vor:

 

Hill-ay-o-o-yu, rise 'er up, me bullies, hill-ay-o-o-yu!
oder
Hand, hand, hand over hand, Divil ran away wid a Liverpool man!
Do, ray, me, fah, soh, la, ti, doh, What makes me fart I do not know!

In Richtung auf besser klingende Beispiele wäre der Sweating-up- Song zu nennen - kurze Verse, von denen nur wenige erhalten sind, wie hier: You stole me boots, you St. Helena soger You stole me boots - a-ha! (Du stahlst mein' Schuh, St. Helena soger,du stahlst mein' Schuh,- a-ha !) Der <Pull> kam auf das abschließende "ha". Die volle Blüte der Holgesänge brachten die Rahfall- Shanties, meist auf ein Thema festgelegte Vierzeiler, die beim Heißen der Mars- und Bramrahen gesungen wurden. Um eines dieser Rahsegel zu setzen, wurden ein oder zwei und riefen den an Deck bereit stehenden Leuten zu: »Alles klar oben!«. Der Ketten- oder Drahtschenkel eines Marsfalles lief von der Mitte der Rah über eine Scheibe im Mast und endete an einem großen einscheibigen Block. Durch diesen Block führte eine Kette, deren eines Ende an Deck fest war, während das andere Ende eine schwere Talje trug, deren Hanf- oder ManilaIäufer durch drei- oder vierscheibige Blöcke lief. Die holende Part dieser Talje wurde an Deck durch einen Fußblock geführt, damit genügend Leute gleichzeitig holen konnten. Die Vorhand (der Shanty-Mann)- vielleicht war es der Bootsmann oder der zweite Steuermann - ergriff den Läufer mit beiden Händen so hoch wie möglich oberhalb des Fußblocks, während die übrigen Männer den Läufer hinter dem Fußblock aufnahmen. Auf den von oben kommenden Schrei "Alles klar" begann der Shanty-Mann zunächst ein paar Takte auszusingen, um die Lose aus dem Fall zu holen und die Falten aus dem nassen Segel zu schütten, die von der Umschnürung durch die Zeisinge herrührten. Sobald das Segel den Wind faßte und sich frei von der Rah bauchte, stimmte Shanty-Mann sein solo an. Manchmal jedoch gab er den Leuten zunächst das Shanty an, das er im Sinn hatte, indem er selbst den Refrain anfing.

 

Amerikanische Seeleute nannten die Rahfall-Shanties <long drags>


Shanty-Mann: A handy ship and a handy crew,
Refrain: Handy me boys, so handy!
Shanty-Mann: A handy mate and skipper too,
Refrain: Handy me hoys, so handy!


Eine andere Gattung der tauholenden Shanties waren die zum <Auflaufen>, die von den Engländern
Walkaway Shanties genannt wurden. Am besten bekannt ist heute noch der "Drunken Sailor—":


Voller Chor:

Way -hay! an' away we go,

Hieland laddie, bonnie laddie!
Wau-hay! An 'away we go,
Me bonnie hieland laddie O!

 

Diese <Stampf- und Geh-Songs> (Stamp and go) sang man oft an den Brassen bei Wendemanövern, aber auch, wenn ein leichtes Segel schnell geheißt werden sollte, oder wenn zwei Taue gleichzeitig geholt werden mussten wie zum Beispiel beim Aufheißen eines Schiffsbootes. Es heißt, dass nur diese Art von Shanties in der Britischen Kriegsmarine erlaubt war, und nur auf kleinen Fahrzeugen wie zum Beispiel Zollkuttern. Zu den tauholenden Shanties gehört schließlich noch der Vorschot-Song der nicht nur bei den Vorschoten, sondern auch bei Halsen, Brassen und selbst bei Fallen nützlich war, wenn es darum ging, noch ein paar Zentimeter aus einem bereits steifen Tau herauszuholen. Der Pull kam mit dem letzten Wort des Refrains, das jedes Mal herausgeschrieen wurde und deshalb musikalisch nicht sein volles Recht erhielt.

 

Haul the bowline, for Kitty she's me darlin ',

Refrain: Haul the bowIine, the bowline HAUL!

Die meisten der zuvor genannten Shanties sind Vierzeiler. Andere Vierzeiler wurden für das Ankerspill gebraucht, das altmodische PumpspilI mit der hölzernen Trommel. Auch sie brauchten wie die Holgesänge einen ruckweisen Rhythmus. Ein Beispiel:


Oh, Stormy's gone that good ol' man,
Refrain: To me way you Stormalong!
Oh, Stormy's gone that good ol'man,
Refrain: Ay, ay, ay - Mister Stormalong!


Die gewöhnlich gedruckten Silben geben an, wann die Männer die Pumpenschwengel hoben oder niederdrückten. Die erste Bewegung, auf Storm, war (an einem Schwengel) aufwärts bis zur Hüfte, auf gone wurden die Arme bis über den Kopf gestreckt, dann wieder runter bis zur Hüfte auf good, runter bis auf die Füße auf man, und so weiter. Natürlich wurden zwei Solos vom Shanty-Mann gesungen und zwei Refrains von <alle Mann>

 

Nach demselben Prinzip arbeiteten die Schwengelpumpen, die auch »Nick-Pumpen— genannt wurden, wodurch der Bewegungsvorgang angedeutet wurde. Shanties für das Pumpspill konnten auch an der Schwengelpumpe gesungen werden. Hier zum Beispiel:

 

I dreamed a dream, the other night,
Chor: Lowlands, lowlands away my John,
I dreamed a dream the other night,
Chor: Lowlands away!


In späterer Zeit jedoch, als man die Downton-Pumpen mit den großen Schwungrädern hatte brauchte man eine drehende Bewegung und dazu eine andere Art von Shanties. Viele Arten von Gesängen konnten an den Handgriffen und Zugstroppen der Downton-Pumpen gesungen werden, und viele Märsche und Lieder der Landbewohner wurden für diesen Chorgesang einfach übernommen :


Glory, glory hallelujah!
Glory, glory, hallelujah!
Glory, glory, hallehjah!
As we go rollin' home.

 

Die holländischen Seeleute schmetterten etwas Ähnliches. Der Zugstropp war ein Tau an den Handgriffen der Pumpe, das mehr Männern die Teilnahme am Pumpen ermöglichte. Das Gangspill, englisch <Capstan> genannt, wurde in seiner doppelköpfigen Form zum Ankerhieven benutzt und war der Fetisch, für den der Seemann in puncto Singen sein Bestes gab. Die Handspaken vor der Brust, an jeder Spake zwei bis drei Mann, trabten die Männer um das Gangspill herum und drehten damit das Ankerspill unter der Back, um die Ankerkette einzuhieven— Anfangs wurden schnelle Gangspill- Shanties gesungen, man hievte das Schiff ja nur näher an den Anker heran. Das Tempo ließ nach, wenn das Schiff dem Anker näher kam; entsprechend wurden dann langsamere Lieder gesungen wie "Rolling home" und "Shenandoah"

 

Ein schnelles Shanty war:


Hurrah, Hurrah! For the gals of Dub-a-lin town,
Hurrah for the bonnie green flag an the harp widout the crown
Oh, wake her! Oh, shake her!
Oh, wake dat girl wid de blue dress on,
When Johnny comes down to Hilo - poor ol' man!

Besondere Shanty-Arten waren der Bunt-Song (Bauch-Song) "Paddy Doyle's Boots", den man sang wenn der Bauch eines Segels auf die Rah gerollt wurde, und das Zeremonien-Shanty "The Dead Horse".

 

Die Freizeitlieder hießen auf englischen Schiffen Forbitter nach den großen Pollern auf der Back oder dem Vordeck, auf denen man bei gutem Wetter saß und sang.

 

Im Gegensatz zu den Shanties und Gangspill-Songs wurden die «Polller-Lieder» meistens von irgendeinem Instrument begleitet, das gerade zur Hand war: Mund- oder Ziehharmonika, Fiedel, Banjo usw. Die Texte waren meistens von der erzählenden Art und handelten von einer Reise oder einem seemännischen Ereignis. Aber auch viele Lieder vom Land, vor allem Trinklieder und auf deutschen Schiffen Lieder aus der Fremdenlegion, wurden in das Repertoire aufgenommen. Man sang auf der Back oder dem Vordeck, vornehmlich in den Passatgebieten; manchmal war auch eine Fufu-Kapelle mit selbst- gebastelten Instrumenten dabei. Die übliche Zeit zum Singen war nach dem Abendessen, wenn die Arbeit an Deck beendet war. Auf den Walfängern sangen die Männer natürlich auch eigene Lieder.

 

'Tis advertised in Boston, New York an' Buffalo,
Five hundred brave Americans a- whalin' for to go.
(Gesucht werden in Boston, New York und Buffalo
fünfhundert brave Yankees für Walfängerei.)


Aus den Tagen des Goldrausches stammt das folgende Shanty:


Oh, I remember well, the lies they used to tell,
Of gold so bright it hurt the sight, an' made the miners yell.


Die deutschen Übersetzungen der fremdländischen Shanties sind keine Nachdichtungen und deshalb auch nicht zum Singen geeignet. Spielen und singen Sie die Shanties in der Originalsprache - so wie es auch die Fahrensleute taten, die an Bord von Schiffen fremder Nationen gingen! Der deutsche Text soll nur das Verständnis der oft altmodischen oder ungewöhnlichen Originale erleichtern.